Constanze Hallgarten von Brigitte Schuchard in Frauen.Freiheit.Frieden ISBN 978-3-86386-841-3
(12. Sept. 1881 — 25. Sept 1969)[1]

Constanze Hallgarten — geboren in Leipzig — stammte aus einer jüdisch-großbürgerlichen, liberal gesinnten und künstlerisch aufgeschlossenen Familie. Die Mutter Philippine Arndt war Malerin, der Vater Anton H. Wolff Großkaufmann. Sie erhielt eine überdurchschnittlich gute Schulausbildung und wurde zu selbstständigem und politisch verantwortlichem Denken angeleitet.

1900 heiratete sie den wohlhabenden und angesehenen, deutsch-amerikanischen, jüdischen Philologen und „Privatgelehrten“ Dr. Robert Hallgarten, ein Deutschnationaler und früherer Mitbesitzer der Süddeutschen Monatshefte, und zog mit ihm nach München.

Ab 1910 bewohnten sie eine große Villa in der Pienzenauerstraße 15 in Bogenhausen. In dem großzügigen, gastfreundlichen Haus verkehrte viel Prominenz aus Kunst und Politik wie z. B. der Dirigent Bruno Walter oder der pazifistisch eingestellte Historiker Ludwig Quidde; bekannt ist auch die gute Nachbarschaft mit der Familie Thomas Manns, die Kinder waren untereinander eng befreundet.

Constanze Hallgarten kämpfte wie ihre Mutter früh in der Frauen-Stimmrechts-Bewegung; ab 1913 leitete sie die Münchner Gruppe des Bayerischen Vereins für Frauenstimmrecht. Nach nur kurzer Begeisterung im ersten Kriegsjahr wurde sie zur Kriegsgegnerin. Zwar fuhr sie aus Rücksicht auf ihren konservativen Mann nicht zum Frauen-Friedens-Kongress nach Den Haag, aber noch 1915 gründete sie mit Anita Augspurg und Lida G. Heymann, die sie 1912 auf einem Stimmrechtskongress in Budapest kennengelernt hatte, die Münchner Ortsgruppe des Internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden.

Ab 1919 nahm sie auch keine Rücksicht mehr auf die konservative Haltung ihres Ehemannes und die gesellschaftliche Meinung in ihren „Kreisen“; sie wurde Teil der aktiven Friedensbewegung in München. Ihr Haus war — vor allem nach dem Tod des Mannes — 1924–1933 der Mittelpunkt der Pazifist_innen in München.

Sie setzte sich ein für Demokratie und die gleichen Rechte für Mann und Frau. Ihrer großbürgerlichen Herkunft und den Beziehungen zur Universität, zu Schriftstellerkreisen und zum bayerischen Adel ist es zu danken, dass es im reaktionären München der 20er Jahre auch möglich war, einen gemäßigten Pazifismus salonfähig zu machen und auch eher unpolitische Frauen dafür zu gewinnen. Constanze Hallgarten vertrat mehr einen gemäßigten Pazifismus, und dennoch wurde ihr Engagement in den bürgerlich-konservativen Kreisen scharf kritisiert, bald vor allem auch in den völkisch-rechtsextremen Gruppierungen. Angegriffen wurde sie besonders von der rechten Presse, als „jüdische Salonbolschewistin aus dem Ghetto von Bogenhausen“ beschimpft, aber auch vom Freund und Nachbarn Thomas Mann anfangs belächelt und nicht ernst genommen. Andere wie der Komponist Hans Pfitzner und seine Frau kündigten ihr offiziell die Freundschaft auf, der einstige Freund Ludwig Thoma schrieb im Miesbacher Anzeiger (neben anderen antisemitischen Artikeln) eine beleidigende Polemik gegen sie.

Constanze Hallgarten war trotz großer Schwierigkeiten Mitglied der deutschen Delegation, als im Mai 1919 auf dem Zweiten Internationalen Frauen-Friedens-Kongress in Zürich die IFFF gegründet wurde. Tief beeindruckt kam sie von diesem Kongress zurück, über den sie in der Münchner Presse ausführlich berichtete. Sie schrieb, dass ihre politische Arbeit als Pazifistin geprägt wurde von dem starken Gemeinschaftserlebnis auf dem Züricher Frauen-Friedens-Kongress. Ab diesem Zeitpunkt widmete sie ihr zukünftiges Leben „dem Kampf gegen den Krieg, der Errichtung des Friedens auf Erden“. Sie leitete von der Gründung 1919 bis zur Auflösung 1933 die Münchner Ortsgruppe der IFFF, zugleich war sie im Vorstand der Münchner Gruppe der Deutschen Friedensgesellschaft und als einzige Frau im Vorstand der Münchner Gruppe der Deutschen Liga für Völkerbund. In diesen Friedensvereinen lag ihr besonders die Friedenserziehung der Jugend am Herzen. Sie beschäftigte sich auch mit sozialistischen Ideen und war Mitglied des Bundes Sozialistischer Frauen. Ihr Sohn Wolfgang hat ihre pazifistischen Gedanken aufgenommen, hat sich z. B. mit dem Argument „ich schieße nicht auf Arbeiter“ dem Beitritt zur Reichswehr verweigert. Die Folge war, solange ihr Mann lebte, eine schwierige politische Spaltung innerhalb der Familie — erst mit dem Tod des nationalistisch eingestellten Mannes/Vaters trat in der Familie wieder Frieden ein.

Sie war dabei, als Frauen aus allen politischen Lagern[2] 1923 dem bayerischen Innenminister Schweyer persönlich eine Petition überreichten, mit der Forderung, Hitler auf Grund seiner gewalttätigen öffentlichen Störungen als Ausländer aus Deutschland auszuweisen — freilich ohne Erfolg. Seitdem stand sie bei den nationalsozialistischen Putschisten mit den anderen Unterzeichnerinnen auf den „Schwarzen Listen“ der zu Liquidierenden, „wenn es in Deutschland wieder eine deutsche Regierung geben wird.“

[1]      Detlef Garz und Anja Knuth: Constanze Hallgarten, und Hiltrud Häntschel: München — Zentrum der Frauenfriedensbewegung, in Sybille Kraft, Zwischen den Fronten. S. 28 ff , sowie Elisabeth Zeile: Frauen für den Frieden, S. 79 ff

[2]      U.a. auch Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, Ellen Ammann und Luise Kiesselbach, Hedwig Kämpfer und Sofie Setzer

Um neben den verheerenden Kriegsfolgen die positive, internationale Friedensarbeit aufzuzeigen, organisierten Constanze Hallgarten und Marie Zehetmaier in München 1927 für die Deutsche Friedensgesellschaft im Asamsaal eine große Ausstellung.

1931 gründete sie noch eine deutsche Sektion des Weltfriedensbundes der Mütter und Erzieherinnen, die für Frauen aller sozialen Schichten und politischen Parteien offen sein sollte — in nur 18 Monaten immenser Arbeit war es ihr gelungen, 23 deutsche Ortsgruppen mit 10 000 Mitgliedern zu gründen. Durch die Leitungsfunktionen in den verschiedenen Friedensinstitutionen erreichte C. Hallgarten in diesen Jahren den Höhepunkt ihres Engagements in der Friedensbewegung. In ihren Erinnerungen (1940) bedauerte sie, dass die IFFF — getragen von intellektuellen und politisch erfahrenen Frauen — auf eine breit angelegte Mitgliederwerbung explizit verzichtete.

Obwohl Constanze Hallgarten bewusst war, dass die Nationalsozialisten die pazifistische bürgerliche Frauenbewegung zutiefst hassten, organisierte sie am 13. Januar 1932 in München eine große Frauen-Friedens-Kundgebung, an der sich neben der IFFF auch die Union Mondiale, der Weltbund der Mütter, der Katholische Frauenbund und die Sozialdemokratischen Frauen beteiligten. Die Leitung hatte Edith Hoereth-Menge, IFFF- und SPD-Mitglied. Zur Eröffnung sprach Erika Mann. Als Hauptrednerin konnte Hallgarten die international anerkannte, französische Pazifistin Marcelle Capy gewinnen; ihr Thema war „Weltabrüstung und Weltuntergang“. Diesmal hatte die vorsorglich bestellte Polizei wohl vor allem wegen der vielen illustren Gäste unter den 1500 Zuhörer­innen die Störtrupps der Nationalsozialisten noch abgehalten, aber bald stand die Polizei auf der anderen Seite. Zwar hatten Hallgarten und Erika Mann (unterstützt von Lida G. Heymann und Gertrud Baer) im Anschluss, beim sogenannten Pazifistenskandal, gegen die Flut von Schmähartikeln in der völkischen Presse noch einen Beleidigungsprozess gegen die Nazis gewonnen, aber Hitlers „Machtergreifung“ im Januar 1933 markierte das Ende der Friedens­arbeit und jeglicher Mitwirkung der Frauen in der deutschen Politik.

Auch Constanze Hallgarten musste Deutschland verlassen; auf entschiedenes Drängen ihres Sohnes und nach Warnungen von eingeweihten Freunden floh sie am 21. März 1933 über Zürich nach Frankreich. Wenige Wochen später kam ihre 83 Jahre alte und schwer kranke Mutter nach. Ihretwegen konnte und wollte sie nicht schneller — wie ihr Sohn — weiter in die USA emigrieren, musste aber in Paris immer wieder in verschiedene, billigere Wohnungen umziehen. Ihr gesamtes Vermögen in München war beschlagnahmt worden, so dass die vorher immer finanziell sorglos lebende Frau auf die Hilfe von Freunden angewiesen war und „Bettelbriefe“ schreiben musste. Als sie 1936 gemeinsam mit dem Sohn in der Schweiz Weihnachten feierte, konnte er sich über die illustren Gäste nur wundern: Anita Augspurg, Lida G. Heymann und Helene Stöcker von der ehemaligen deutschen IFFF-Sektion und bekannte deutsche Sozialdemokraten waren anwesend und diskutierten voll Pessimismus über die Zukunft in Deutschland. Da das Leben in Frankreich billiger war als in der Schweiz, zog sie wieder nach Paris. Trotz der finanziell und existenziell bedrohten Jahre engagierte sie sich weiterhin für ein politisches Leben, z. B. nahm sie im August 1937 am 32. Weltfriedenskongress in Paris teil und vertrat im April 1939 Lida G. Heymann auf der letzten internationalen Tagung des Exekutivkomitees der IFFF vor dem Krieg, ebenfalls in Paris. Während einer Bombardierung am 4. Juni 1940, bei der die Tochter am Bett der 90jährigen Mutter blieb und nicht in einen Luftschutzkeller flüchtete, starb ihre Mutter.

Anlässlich eines „wissenschaftlichen Preisausschreibens“ der Harvard Universität schrieb sie 1939/1940 ihre Memoiren[1], mit dem Schwerpunkt auf ihrem politischen Leben in der deutschen Friedensbewegung und wenigen Angaben zu ihrer persönlichen und ihrer Familiengeschichte. Sie hoffte sehr, mit dem Preis ihre problematische finanzielle Abhängigkeit vom Sohn Wolfgang und einigen Institutionen verbessern zu können, was aber ohne Erfolg blieb.

Nach langwierigen, oft fast hoffnungslosen Bemühungen durch sie und ihren Sohn, der schon 1937 in die USA emigriert war, gelang es ihr im Januar 1941 aus dem besetzten Paris nach Marseille zu entkommen, von wo sie wegen schwerer Krankheit nicht weiterreisen konnte; im November 1941 folgte die dramatische Flucht über Madrid und Lissabon nach New York.

Die weiteren Kriegsjahre verbrachte sie in San Francisco und Palo Alto in der Nähe ihres Sohnes Wolfgang, der sich in Amerika nach seinem zweiten Vornamen George nannte und der vor allem nach dem Krieg ein erfolgreicher, bedeutender Historiker in den USA wurde. Sie war auf die Finanzierung durch verschiedene Hilfskomitees angewiesen. In den Jahren der Emigration veränderte sich ihre pazifistische Einstellung. Sie teilte die Meinung von Anita Augspurg in jenen Jahren, für die ein Frieden ohne Freiheit sehr fragwürdig war. In den Briefen mit Gertrud Baer und Helene Stöcker wird deutlich, dass Hallgarten in diesen Jahren für eine anti-isolationistische Haltung der USA im Krieg eintrat.

In Kalifornien leitete Constanze Hallgarten einige Jahre in Palo Alto die Ortsgruppe der WILPF; sie war auch aktiv im Palo Alto Peace Club. Seit 1947 unterhielt sie wieder regen Kontakt mit Gertrud Baer in Genf und mit der Münchner IFFF-Gruppe; die Palo Alto-Gruppe übernahm eine Patenschaft für die Münchner Gruppe. Am Internationalen Kongress im August 1949 in Kopenhagen nahm Constanze Hallgarten als USA-Delegierte der WILPF teil; sie hatte inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen.

Trotzdem entschloss sie sich 1955 nach München zurückzukehren und sich in der neu gegründeten Münchner Gruppe der IFFF zu engagieren. Ihr Haus im Herzogpark wurde ihr zurückerstattet, so dass sie nach dem Verkauf keine existenziellen Sorgen mehr hatte. Sie wohnte zunächst in einer Pension am Biederstein, dann im Wohnstift Augustinum in München-Neufriedenheim. Bis zu ihrem Freitod zwei Wochen nach ihrem 88. Geburtstag, den sie in großem Kreis mit Sohn und Schwiegertochter aus Amerika und Freunden, auch einigen IFFF-Frauen, feierte, lebte sie aktiv und überzeugt in der Frauen-Friedens-Bewegung: „Nur durch die aktive Gegnerschaft gegen die Gewalten, die uns und unsere Kinder mit Tod und Verderben bedrohen, ist das Leben heute wert, gelebt zu werden.“

[1]      C. Hallgarten: Als Pazifistin in Deutschland. 1956